Tierische Freunde!

Ein junger Stier namens Hendrik erzählt von seiner Rettung

Stier Hendrik
© Melanie Vogelei / White Paw

Hallo ihr da draußen! Mein Name ist Hendrik, und ich möchte euch meine Geschichte erzählen. Fast hättet ihr nie von mir erfahren, aber das Schicksal und die Liebe haben es gut mit mir gemeint…

Im Frühjahr 2016 kam ich auf die Welt. Die ersten drei Monate meines Lebens gehören zu den glücklichsten meiner Erinnerungen. Nie wieder habe ich mich so geborgen und sicher gefühlt wie bei meiner Mama. Ich genoss ihre Liebkosungen und natürlich ihre leckere Milch, die ich noch heute auf der Zunge schmecken kann. Ich hatte zwei Kumpels, mit denen ich um die Wette rannte, herumsprang und recht unbeschwert unsere kleine heile Welt erkundete.

Aber der Spaß hatte plötzlich ein Ende. Die Menschen holten uns alle von der Weide in den Stall – und auf einmal war meine Mutter weg! Ich schrie verzweifelt nach ihr, mir war schlagartig kalt und ich fühlte mich allein – hatte sie mich nicht mehr lieb? Zwischen meinen Schreien konnte ich sie rufen hören, auch meine Mama wusste nicht, was geschah. Die Menschen ließen sie nicht mehr zu mir. Anstatt ihrer Milch bekam ich in dieser Nacht nur Heu und Wasser. Allein war ich nicht, meine Kumpels waren bei mir. Eng aneinander gekuschelt schliefen wir, müde vom Rufen nach unseren Müttern, ein. Ich hoffte, am nächsten Tag unter Mamas liebevollen und wachsamen Augen aufzuwachen, aber ich habe sie nie wieder gesehen.

Stier Hendrik auf Weide
© Melanie Vogelei / White Paw

Später erfuhr ich, dass die meisten Kälber ihren Müttern weggenommen werden. Viele dürfen nicht einmal drei Monate zusammenbleiben. Und warum? Nun, die Menschen wollen die Kuhmilch, die eigentlich für mich und viele andere Kuhbabys bestimmt ist, trinken und verkaufen. Deshalb reißen sie unsere Familien auseinander, denn sie wollen die Milch für sich allein.

Fünf Monate lang lebte ich dann in einem kleinen Stall. Der Boden war hart, es war eng und es roch nicht gut. Zu essen gab es in dieser Zeit reichlich, und außer essen konnten wir nicht viel machen, denn wir waren eingesperrt. Die Menschen sagten, wir sollten „Schlachtgewicht“ bekommen und mästeten uns. Unglücklich nahm ich mein neues Leben hin.

Als ich dachte, dass ich bis an mein Lebensende in diesem Stall bleiben muss, fuhr eines Tages ein großer Transporter auf den Hof. Mit einigen anderen Bullen und Kühen drängte der Bauer mich hinein. Angst stieg in mir hoch – wohin sollte die Reise gehen? Ich schaute mich um, aber blickte nur in fragende Gesichter. Mehrere Stunden verbrachten wir zusammen eingepfercht auf der Ladefläche, während wir unserem unbestimmten Ziel entgegenfuhren. Ich hörte viele traurige Geschichten, die ich nicht glauben wollte: von Kuhmüttern, die in Ketten leben mussten, denen man die Kinder geraubt hat und die nun zu wenig Milch für die Menschen gaben; von anderen Kuhkindern, die ihre Mamas nie kennenlernen durften, und von erwachsenen Bullen, die ausgedient hätten.

Dann sah ich – zwischen all den anderen – Lisbeth zum ersten Mal. Ja, ich geb’s zu: Ich habe mich sofort Hals über Kopf in sie verknallt! In ihr schönes blondes Haar, das kleine Öhrchen und ihr sanftes Gesicht. Der Wagen stoppte schließlich und wir wurden alle in ein Gatter gelassen. Da standen schon viele andere Rinder, aber ich hatte nur Augen für Lisbeth und drängelte mich zu ihr durch. Ich spürte, dass sie Angst hatte, genau wie alle anderen, genau wie ich … und ich versuchte, stark für uns beide zu sein. Nach der anstrengenden Fahrt futterten wir zusammen Heu und schliefen, unter den Klageliedern der anderen Rinder, bald Seite an Seite ein. Lisbeth und ich hatten zwei Tage, um uns besser kennenzulernen. Und was soll ich sagen? Wir verstanden uns super! Doch was hatten die Menschen mit uns vor?

© Melanie Vogelei / White Paw

Am nächsten Tag kamen zwei Frauen und schauten uns alle genau an. Immer wieder fiel das Wort „Schlachtrampe“. Panik machte sich unter uns breit. Zwei sehr nette Kuhomis wurden aus dem Gatter herausgeholt. Eine der Frauen interessierte sich dann für Lisbeth. Ich bekam Angst … sollte ich nun auch noch Lisbeth verlieren? Sie machte Fotos von uns – es fiel schwer glücklich zu schauen – und fuhr mit ihrer Freundin wieder davon. Ich war einfach nur erleichtert, dass Lisbeth noch bei mir war. Zwei Tage später, es war Ende Januar 2017 und Lisbeth und ich waren nun ein Paar, kam die Frau wieder. Zusammen mit dem Mann, bei dem wir untergebracht waren, fuhr sie einen Anhänger vor und meine schlimmste Befürchtung trat ein: Sie wollten meine Lisbeth!

Ich nahm allen Mut zusammen, um sie zu beschützen, sprang dazwischen und trat wild um mich! Vergebens. Lisbeth wurde auf den Hänger gebracht. Plötzlich schaute mich die Frau an: „Du bist ein mutiger, wilder kleiner Kerl, wenn du jetzt brav bist, dann darfst du auch mit!“ Es war mir egal, wo die Reise hingeht, ich wollte nur zu Lisbeth. Also folgte ich ohne zu murren.

© Melanie Vogelei / White Paw

Heute weiß ich, dass mir meine Liebe zu Lisbeth das Leben gerettet hat. Wären wir länger in diesem Gatter geblieben, hätte der Schlachter uns beide getötet – das bedeutet „Schlachtrampe“. Die Frauen aber brachten uns auf einen Lebenshof, auf dem wir und einige andere Kühe und Bullen wirklich leben dürfen: Wir haben große, saftige Weiden und im Winter einen geräumigen, warmen und trockenen Laufstall. Mit unseren Freunden hier haben Lisbeth und ich schon viel erlebt. Das Beste aber ist, dass ich mit meiner Traumfrau alt werden darf. Ja, unsere Liebe hält noch immer, wir gehen durch dick und dünn und ich passe weiterhin auf sie auf.

Die Rinder, die mit uns auf dem Transporter standen, hatten nicht unser Glück. Sie können ihre Geschichten nicht mehr erzählen. Ihr Leben wurde auf der Schlachtrampe beendet.

Ich bin dankbar dafür, gerettet worden zu sein, und dafür, dass ich meine Geschichte mit euch teilen durfte.