Tierische Freunde!

Der kleine Bär – Schritt für Schritt

© Viviane Wagner

Eine Geschichte von Katja Lührs mit Bildern von Anne Duchêne und Viviane Wagner.

Der kleine Bär tippelte – meist hüpfend und vergnügt – Schritt für Schritt zu seiner alten Eiche. Dort hatte er sich mit einigen seiner unzähligen Tierfreunde zu einem kleinen Plausch verabredet. Dabei schaute er nicht auf seinen holprigen Wiesen- und Waldweg, sondern spielte „Hans Guck-in-die-Luft“. Munter trällerte er ein Liedchen vor sich hin, wie so oft richtig unmusikalisch, aber das störte ihn nicht. „Was für ein wundervoller Tag, die Sonne scheint, und meine Freunde, die Vögel, zwitschern“, summte, brummte, er noch – und im gleichen Moment, hopsala, stolpert er über einen rundlichen, fast unscheinbaren Stein. „Autsch, wie kannst du hier einfach so in der Gegend herumliegen? Dich habe ich hier aber noch nie gesehen. Sein erstes Gefühl in seiner Bauchgegend, auf das er sich immer verlassen konnte, machte ihm klar, dass er manchmal etwas unachtsam und gedankenverloren – mit anderen Worten ausgedrückt: nur wenig wachsam – durch das Leben trottete. „Hallo, meine liebe innere Stimme, du hast ja mal wieder so recht! Toll, dass ich mich immer auf dich verlassen kann“, führte er sein scheinbares Selbstgespräch weiter. „Aber mit zunehmendem Altem, also immer öfter, muss ich einfach mehr nachdenken als sonst, zumal ich jetzt gleich meine Freunde treffe und wieder einmal gerne über mein Lieblingsthema – das „Loslassen“ – sprechen möchte. Im Klartext bedeutet das, nichts, aber überhaupt nichts, ist von Dauer! Alles ist vergänglich. Die Sonne und der Mond gehen auf und wieder unter. Auf jeden Tag folgt die Nacht. Alles verändert sich im Laufe der Zeit, von Stunde zu Stunde. Du kannst nichts festhalten. Wenn dir das mal so richtig einleuchtet, dann bist du auf einem guten Weg und kannst auch ruhig einmal stolpern, so wie ich jetzt gerade!“

Er hörte kurz, aber sehr interessiert auf alle Geräusche um sich herum. Dann streichelte er zärtlich seinen kleinen gewölbten Bauch und wartete auf eine Regung, ein Grummeln! Nichts, aber auch nicht der kleinste Ton machte sich bemerkbar, nur ein warmes, wohliges Gefühl, und da wusste er, dass er sein Herzensthema „Loslassen“ unbedingt gleich mit seinen Freunden mal wieder besprechen muss.

„Jeden Tag positiv dazulernen. Das Glück zu erkennen, geliebt zu werden und zu lieben. Zufrieden und voll innerer Freude zu sein und das Ganze, juhuuuuu, locker vom Hocker“, summte und brummte der kleine Bär weiter, zum Niederknien witzig, köstlich und falsch in die Landschaft. Wieder überlegte er kurz, um dann seinen Monolog fortzuführen: „Was aber immer bleibt, ist die Liebe in deinem Herzen, und sie kann von Tag zu Tag noch stärker werden!“ Erneut hörte er in sich rein, ob es da irgendeinen Widerspruch gab? Nö, seine Intuition hatte ein Schweigen-im-Walde-Programm eingeschaltet. „Also liege ich mal wieder richtig mit meiner Gefühlswelt, oder?“ So ganz sicher war er sich anscheinend nicht. Aber auch nicht das kleinste Stimmchen regte sich in seinem Bauch, den er jetzt genüsslich betrachtete. „Sag ich doch, was aber bleibt und was ich jeden Tag noch besser üben und lernen kann, ist, ein noch liebevollerer Bär zu werden! Der Gedanke rockt, ist absolut spitze, sozusagen megacool! ‚Gütig‘ ist auch noch ein fabelhaftes Wort, auch das sollte man täglich in die Tat umsetzen. Du kriegst die Motten, bin ich heute wieder kreativ! Wie wäre es noch mit folgenden Übungsprogrammen der Dankbarkeit, Freude und – ganz wichtig – dem Mitgefühl?“

„Holalahütihaho, mein himmlischer fünfter Sinn, oder siebter? Vielleicht auch neunter Sinn, wer weiß das schon so genau bei uns Tieren!“ Der kleine Bär kratzte sich umständlich am Kopf. „Bist du aufgewacht von meinen vielen Einfällen? Hat mein unübertroffener Gesang dich wachgerüttelt? Manchmal höre ich ja Tage, Wochen, Monate oder gelegentlich auch Jahre lang nichts von dir!“ „Vom Feinsten, deine Übertreibungen sind meist ganz große Klasse! Wenn ich dich nicht gerade höflich unterbrochen hätte, dann wären wir jetzt mit deinen Jahresaufzählungen in der Steinzeit angekommen.“ „Wirklich?“, der kleine Bär schüttelte sich vor Lachen und klopfte dabei auf seine Schenkel. „Übertreibe ich oft so sagenhaft?“ Etwas gefasster formulierte er dann: „Wo war ich denn gerade, jetzt habe ich total den Faden verloren. Ich praktiziere das alles, das wollte ich sagen.“ Augenblicklich trommelte er dabei zur Unterstützung seiner Worte mit beiden Tatzen auf seine Brust. „Was praktizierst du alles?“ „Nun ja, ich habe jeden Tag Spaß, einmal um die Welt herum viel Freude und Liebe! Bin dankbar, dass es mich gibt! Dass es unsere Mutter Erde gibt, die sich auch noch dreht im Weltall, wie unfassbar ist das denn? Du siehst, das sind wirklich viele Gedanken, und da bin ich schon beschäftigt! Wirklich“, setzte er lautstark noch oben drauf. Erneut klopfte seine Intuition, sein Bauchgefühl an, um zu bemerken: „Was liebst du denn?“ „Soll ich dir das jetzt wirklich alles aufzählen, was ich liebe? Da stehen wir ja morgen und übermorgen noch hier!“ Seine innere Eingebung forderte ihn auf, eine kleine Liste, wo seine Liebe so hinfällt, zu erstellen.

Der kleine Bär überlegte nicht lange und legte los: „Einzigartig liebe ich meine Mutter! Meinen Vater kenne ich leider kaum. Er ist ständig auf Wanderschaft. Aber wenn ich ihn sehe, liebe ich ihn sehr, und ich trage ihn immer in meinem Herzen.“ Seine Liste war wirklich lang und er überschlug sich fast mit seiner Stimme: „Unseren Spiegelsee, sein Glitzern im Sonnenlicht ist brillant. Den Mond, die Sterne, die sich in dem traumhaft schönen See, seinem Wasser, spiegeln. Grandios sind die Hügel und Berge, ganz großes Kino sind alle meine Freunde, und ich umarme sie auch immer als Zeichen meiner großen, starken Liebe. Für meinen Lieblingsbaum, der umwerfend und fantastisch ist und mich so viel in meinem Leben lehren kann, würde ich jeden Tag Unglaubliches tun.“ „Zum Beispiel?“ „Im Viereck springen, ja ich liebe meinen Wunderbaum, einmal um die Welt rum, das bedeutet unendlich!“

„Mir fehlen für ihn fast die Worte, so groß ist meine Hochachtung und bombastische Liebe zu meiner alten ehrwürdigen Eiche. Übrigens liebe ich alle anderen Bäume auch. Alle Nüsse, Äpfel, Birnen, die Sträucher mit ihren Beeren sind unübertroffen und schmecken himmlisch. Die Blumen und Gräser! Auweia, die Sonne hätte ich fast ganz vergessen. Ohne die Sonne gäbe es kein Leben auf der Erde.“ Seine innere Stimme musste ihn stoppen, sonst würden sie wirklich noch in einer Woche hier stehen, total versunken in seinen Aufzählungen.

„Ganz große Klasse, was dir da so alles einfällt! Aber hast du auch Mitgefühl?“ „Ja, ja großes, das ist doch selbstverständlich, das gehört doch zu meiner Liebe dazu“, so der kleine Bär. „Das alles sind sehr gute Tugenden. Dazu gehört auch die Nächstenliebe. Das meinst du doch, wenn du von Mitgefühl sprichst, oder?“ „Auch, oh ja“, grummelte sein Bauch und wölbte sich etwas nach außen. „Ich kenne dich am besten. Aber kennst du dich auch gut genug?“ „Was meinst du damit, ob ich mich richtig kenne?“ „Glaubst du, du hast Respekt vor dir und – um nur einiges aufzuzählen – deinem wunderbaren Körper, vor allen Menschen, Tieren, der Natur und den Pflanzen? Denn wenn wir den Respekt in unserem Leben pflegen, sehen wir die Welt in einem anderen Licht, mit anderen Augen, und die Liebe, das Mitgefühl motiviert uns, helfende Schritte zu unternehmen.“

„Aber alles entsteht doch aus der Liebe“, so der kleine Bär. „Deshalb glaube ich auch ganz fest daran, dass ich riesengroßen Respekt habe! Oder, mein lieber Bauch, glaubst du das etwa nicht?“ „Doch, doch, ich hatte dir schon vermittelt, dass ich ganz große Stücke auf dich halte. Ich bin glücklich, dein Bauch zu sein!“ „Neuntausend-und-sieben Dankeschön an dich.“ Der kleine Bär war mit seiner kleinen runden Kugel, seinem Bauch, mehr als nur zufrieden.

„Alle Lebewesen auf dieser wunderbaren Erde, ob Menschen oder Tiere, haben das Recht, glücklich zu sein. Wenn wir das respektieren, dann gehen wir auch mit der Natur, den Pflanzen und Bäumen sehr rücksichtsvoll um. Übrigens, wir Lebewesen können davonlaufen, wenn wir erkennen, dass es einer nicht gut mit uns meint. Ein Baum, meine alte Eiche, kann das leider nicht. Sie ist den Menschen ausgeliefert!“

© Anne Duchêne

„Wie klug du bist, mein kleiner Bär! Was bedeutet für dich Glück?“ „Wenn ich alles mit Liebe, Freude und Mitgefühl betrachte, dann bin ich auch glücklich!“ Der kleine Bär blinzelte ins Sonnenlicht, hob seine braune rechte Tatze und klopfte sich sachte auf seine linke Brustseite. Dann hielt er kurz inne und fühlte, wie sein Herz kraftvoll pochte. „Glück ist, gesund, munter und voller Freude zu sein! Mein Herz schlägt für mich jeden Tag und selbst in der Nacht, wenn ich tief schlafe! Ich kann mich bewegen, essen, trinken, singen und tanzen, wann immer ich Lust habe. Gott sei Dank ist das so! Denn das alles ist nicht selbstverständlich!“

„Dann ist mir klar geworden, dass ich nicht die ganze Welt retten kann, aber jeden Tag etwas Positives, Gutes tun. Wenn immer mehr Lebewesen, besonders Menschen, so denken würden, dann könnte das Leben auf diesem einzigartigen Planeten Erde noch großartiger sein.“

„Richtig, du kannst auch jeden Tag mehrfach etwas Gutes tun. Unterschätze niemals deine guten Taten, die helfen, das Leben jeden Tag noch einzigartiger zu gestalten. Hast du schon einmal vom Sinn des Lebens gehört?“ „Hammer, ja, habe ich, von meinem Lebensbaum, der weisen, uralten Eiche.“ „Aber was ist für dich der Sinn des Lebens?“ „Jeden Tag in Liebe dazulernen und ein besserer Bär zu werden“, war die blitzschnelle Antwort. „Selbst wenn meine Füße an Steine stoßen, so wie jetzt gerade, werde ich, ausgerüstet mit diesen Tugenden, die ich alle aufgezählt habe, meinen Weg finden und habe jeden Tag die Möglichkeit, neu durchzustarten.“

„Stimmt genau, weiter so kleiner Bär, keine Karte auf der ganzen Welt kann dir zeigen, wo dein persönlicher Weg hinführt. Nur du selbst kannst deinen Weg finden und für dich erkennen und ebnen. Oft hilft dir auch der Zufall! Der Volksmund sagt: Es fällt dir zu.“ „Was zum Beispiel?“ „Eine besondere Gelegenheit, eine Chance! Dein Himmel ist tief grau, obwohl die Sonne scheint! Und du hast ganz plötzlich einen Geistesblitz, dass über den Wolken immer die Sonne scheint und trübe Tage im Leben vorbeiziehen. An den sonnigen Tagen fühlst du dich beschwingt, heiter, leicht wie eine Feder im Wind oder wie ein verzauberter Schmetterling. Die regnerischen, frostigen Tage gehören auch zu deinem Leben. Du wirst weinen, straucheln, verzweifelt sein und vielleicht auch fallen! Aber mit deiner Liebe, deiner Kraft wirst du immer wieder aufstehen. Je mehr du lernst auf deinem Lebenspfad – auch auf mich, deine innere Stimme – zu hören, desto leichter fällt dir dein Leben.“

„Aber ich höre doch auf dich, auf meine phänomenalen Eingebungen! Früher, wenn ich mal wieder so richtig im Leben ausgerutscht bin, hatte ich so ein wirbeliges, flaues, kribbelndes Gefühl in der Magengegend. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Oft habe ich geweint, hatte keinen blassen Schimmer, wie es weiter geht. Aber jetzt kann ich mich mit dir so richtig gut austauschen und lerne Tag für Tag dazu. Wie fein ist das denn! Ja, Übung, macht den Meister. Klasse, mein lieber Bauch, besser geht’s nicht!“ „Ja, Übung macht wirklich den Meister, und, ja, du hörst auf mich, nicht nur am Tag, sondern auch nachts in deinen Träumen!“

„Große Enttäuschungen, das möchte ich dir noch mit auf deine Wege geben, sind nicht das Ende der Geschichte, sondern oft ein neuer Anfang, ein neues Abenteuer. Geht ein Tag zu Ende, sieht es am nächsten Morgen schon wieder ganz anders aus. Das alles hast du im Laufe deiner Zeit schon gelernt. Schenke weiter deinem Leben deine volle Aufmerksamkeit und Wachsamkeit, und du erkennst den unendlichen Wert aller Dinge immer mehr zu schätzen. Aber wie schon angesprochen, da bist du wirklich schon auf einem superguten Weg! Schritt für Schritt erreichst du dann deine Lebensziele. Bedenke dabei immer, der Weise ist ein glückliches Kind. Erhalte dir bitte deinen Frohsinn, deine Leichtigkeit, dein inneres Kind, auch noch in deinen späten Jahren.“

„Übrigens, nicht alle haben ein Bauchgefühl, so wie du! Andere spüren ihren siebten Sinn im Herzen oder auch an einer anderen Stelle ihres Körpers.“ „Wirklich?“, der kleine Bär überlegte angestrengt, welche Körperteile denn da noch so in Frage kommen könnten.

„Ist das dann das gleiche einzigartige Gefühl, das ich mit dir habe?“ „So oder so, das muss jeder für sich selber ergründen, und wenn er es gefunden hat, hegen und pflegen. Das bedeutet, jeden Tag in seinen Körper hineinzuhören, ob sein Unterbewusstes mit ihm spricht.“ „Ist das alles aufregend!“ Sehr behutsam, liebevoll fasste der kleine Bär mit seinen beiden Tatzen seinen kugelrunden Bauch an und schob ihn leicht hin und her. „Ich bin ein glücklicher Kerl und dreimal in die Luft gesprungen, so richtig zufrieden bin ich mit meinem Bärenleben. Ich habe das Gespür zu meinem siebten Sinn und meiner wunderbaren alte Eiche, die mit mir liebevoll spricht. Prima, darf ich mal jodeln vor Freude?“ „Immer!“ „Jodelahütihahö, besser geht’s nicht.“

Sein kleiner Bauch stimmte in den Jodelgesang mit ein und gluckerte: „Du kannst die Lebenswellen oft nicht aufhalten, aber du kannst lernen, auf diesen supergut zu surfen. Am Ende jeder Welle kannst du entdecken, erkennen, wie wichtig in allen Lebenssituationen die Liebe war.“

„Was für eine Erkenntnis?“, horchte der kleine Bär neugierig auf.

„Hier noch ein kleines Rätsel für dich und deine Freunde.“ Der kleine Bär zog skeptisch seine Stirn wie ein Waschbrett in viele kleine Falten. Dabei „stöpselten“ seine kurzen Haare bis hin zu seiner vorwitzigen Nasenspitze in alle erdenkbaren Himmelsrichtungen. Er hatte enorm viele Gesichtsausdrücke, um immer wieder neu sein Erstaunen auszudrücken. „Es bleibt nicht immer so!“ „Warum, wieso, weshalb?“ Dann murmelte er vier- bis fünfmal hintereinander diesen kurzen Satz. Tiefsinnig schwenkte er erst nur seinen Hals, dann seinen gesamten Körper und schließlich seine Beine und Füße hin und her. Das sah unglaublich gelenkig, aber auch sehr komisch aus. „Darüber denke jetzt mit deinen Tierfreunden nach. Denn alle warten schon ganz ungeduldig auf dich. Deine alte Eiche hat auch schon Sehnsucht nach dir. Wetten, dass sie genau weiß, um was es geht?“ „Ich wette nicht!“ „Das weiß ich doch, es war nur so dahingesagt und ich finde es toll, dass wir zwei beide nicht wetten!“

Der kleine Bär legte vorsichtig, behutsam, um keine Ameise zu gefährden, den Stein zurück auf den Weg, den er irgendwann im Laufe des Zwiegesprächs aufgehoben hatte. Genau an die gleiche Stelle, wo er vorher lag. Erneut streichelte er über seinen Bauch und bedankte sich für die vielen neuen fabelhaften Botschaften.

„Ich komme in einer Minute“, rief er ganz laut und ziemlich aufgeregt den Weg hoch, in der Hoffnung, seine Freunde könnten ihn hören. „Jungs und Mädels, ich bin schon unterwegs und habe eine Überraschung für uns alle, die wir gemeinsam lösen können.“ Oben in luftiger Höhe pustete er, um nach Luft zu schnappen, und eröffnete sofort das Gespräch, bei seinen Freunden angelangt, mit den Worten: „Ich bin auch nicht mehr der Jüngste unter uns! Kaum zu glauben, aber meine innere Stimme hat mir gerade ein Rätsel zugeflüstert.“ „Was für ein Rätsel?“, wiederholten fragend alle versammelten Tierstimmen von sehr laut bis ganz leise, über-, unter- und hintereinander. Betont langsam, jedes Wort genau überlegt, formulierte er den bedeutsamen Satz noch einmal:

„Es bleibt nicht immer so!“

Alle Augenpaare wurden größer und noch runder in der bunt zusammengewürfelten Runde. Es war mäuschenstill, man hätte gut eine Ameise, die vielleicht gerade hustete, hören können. Das große Schweigen zog sich wie ein Gummiband in die Länge. „Na, Kollegen“, machte sich als erster Schlappohr etwas Luft und stellte dabei sein äußerst schlappes Ohr kerzengerade in die Höhe. Gerade so, als ob beide seiner Ohren sich gegenseitig zeigen wollten, wer am längsten werden kann. „So schwierig kann das doch wohl nicht sein. Es ist doch ein kurzer, einfacher, knackiger Satz.“

„Es bleibt nicht immer so!“

„Nun kommt mal alle raus aus eurer Dunkelkammer, knipst euer Gehirn an. Sprecht mit mir! Ich will was hören!“ Das „hören“ betonte er ungemütlich, fast etwas schrill.

Igel-Dame Emma schüttelte ihre unzähligen schwarzgrauen Stacheln und konterte unwirsch: „Ich will was hören? Du hast doch selber keine Ahnung, was der Satz bedeutet“. „Alter“, der Tukan machte sich krächzend bemerkbar und seine beiden Augen wurden augenblicklich sehr klein und fast etwas schlitzförmig. Nun ließ er auch noch ein Auge fast zuklappen und sein anderes wurde riesengroß. Der kleinste Hase, den alle sehr gerne „Glückauf“ nannten, legte sich spontan flach auf den Bauch und trommelte mit beiden Hasenpfoten auf den Wiesenboden: „Ich schmeiß mich gleich vor lauter Lachen selber weg und in alle Ecken des Waldes! Wenn ich Klamotten hätte, würde ich sie mir vom Körper reißen.“ Sein Lachanfall war so quietschvergnügt, dass alle anderen, bis auf Tukan, davon sofort angesteckt wurden. Die Lachorgie schien kein Ende zu nehmen. Hihihi, hahaha, jeder hatte so sein eigenes privates unübertroffenes Lachkonzert in allen Tonlagen. Tukan hätte dazu noch mit seinem gelben Schnabel tief klappern können. Aber ihm war nicht danach. „So, ihr leicht Verrückten, lassen wir doch bitte wieder Herrn Ernst einziehen.“ Nun, „ernst“ konnte jetzt wirklich keiner mehr sein, zumal Tukan immer noch den gleichen witzigen Gesichtsausdruck hatte. „Man muss nur Geduld haben“, klapperte dieser jetzt doch mit seinem großen gelben Schnabel. Und die habe ich wirklich. Das heißt für euch alle übersetzt, mein Nachname ist Geduld.“ Es dauerte schon einige Minuten, bis sich alle wieder so einigermaßen beruhigt hatten.

© Viviane Wagner

Tukan klapperte einige bedeutungsvolle Sätze, wie: „Freunde, wie es gestern für uns alle war, so kommt es nie wieder. Wir können noch hundertmal und mehrmals in so einer Lachrunde sitzen, aber es wird nie mehr so wie heute sein! Es wird jedes Mal anders. Wir sitzen anders, reden anders. Ich möchte mit diesem einfachen Vergleich kundtun: Es bleibt nicht immer so! Also genießt jeden Augenblick im Hier und Jetzt!“

„Wow, wo er recht hat, hat er recht“, schmunzelte der kleine Bär. „Da bin ich erst mal überhaupt nicht draufgekommen. Lebe nicht in der Vergangenheit, sondern lerne aus ihr, und lebe auch nicht in Zukunft, sondern lebe jetzt, in diesem Augenblick. Das ist der Moment, auf den du dich konzentrieren solltest. Weil alles vergänglich ist! Dazu gehört auch, aber das kennt ihr ja schon von mir, das Loslassen-Lernen. Das ganze Leben besteht aus kleinen und großen Abschieden – vieles, das man in Liebe loslassen sollte.“

„Bist du jetzt da ganz alleine draufgekommen oder hast du insgeheim wieder mit deinem Bauch oder der alten Eiche oder mit sonst noch jemandem gesprochen, der hier so rumsteht oder sitzt oder vielleicht auch in der Luft rumschwirrt?“ Es war Schlappohr, der die Frage stellte. „Unser lieber gemeinsamer Freund Tukan hat uns den richtigen Weg zu diesem Satz, der Denkaufgabe, geebnet.“ Tukan klapperte mit seinem riesigen Schnabel erfreut und sichtlich entspannt in die Runde. „Danke, dass ihr alle so schnell kapiert, umrissen habt, um was es bei diesem bedeutungsvollen Satz geht.“

Emma, die sonst so für alles offene Igel-Dame, war mit der Aussage gar nicht so richtig einverstanden: „Also Freunde, ich denke gerne an meine Vergangenheit. Denn aus dieser habe ich alles gelernt. Und träumen, das tue ich den ganzen lieben Winter lang, so wie du kleiner Bär. Auch von meiner Zukunft.“ „Du hast ja so recht Emma, dass tun wir fast alle. Viele unter uns lernen leider nie aus ihrer Vergangenheit und zeigen immer wieder das gleiche Fehlverhalten. Wir alle bauen gerne Luftschlösser in Gedanken für unsere Zukunft. Vieles davon geht auch in Erfüllung, wenn wir richtig kreativ davon immer wieder träumen. Der Satz:

‚Es bleibt nicht immer so!‘

bedeutet im Großen und Ganzen, dass wir immer wieder zügig in unsere Gegenwart zurückkommen sollen. Das Hier und Jetzt genießen, so wie wir hier gerade sitzen, uns wohlfühlen und miteinander sprechen und lachen. Sind wir nur in unserer Gedankenwelt verstrickt, zieht unser Leben an uns vorbei.“ Schlappohr überlegte, ließ die letzten Worte des kleinen Bären auf sich einwirken und zog dabei seine beiden Ohren diesmal ruckweise länger und in Richtung Wiesenboden nach unten, weit weg von seinem Kopf und meinte dann lautstark: „Und wer will das schon?“ Emma schien mit dieser Aufklärung zufrieden zu sein, fragte aber trotzdem noch einmal sehr deutlich nach, was bei ihr äußerst selten ist, denn sie nuschelte gerne: „Warum, und das passt sehr gut zu diesem Thema, rasen die Menschen so schnell in der Gegend rum, und auch Hasen, wie du Schlappohr, über den Acker? Oft ohne Rast und Ruhe. Wer kann mit so viel Stress im Hier und Jetzt leben? Mir kommt das so vor, als wenn am Ende ihres Lebens irgendeiner mit einer Stoppuhr steht.“

Schlappohr bekam augenblicklich einen herzhaften riesigen Lachanfall. Er sah sich bildhaft über eine große Wiese wie ein geölter Blitz im Zickzackkurs laufen. Er pustete los, nachdem er sich etwas beruhigt hatte: „Weißt du, warum ich blitzschnell über den Acker jage?“ „Nöööööö!“ „Meine liebe Emma, du bist klein, dich übersieht man leicht und auf dich schießt kein wild gewordener Jäger mit seiner Flinte. Auch noch mit Zielfernrohr und versteckt sich im Gebüsch oder auf einem Hochsitz. Keines von uns kleinen Tieren sieht, ob dort oben so ein Typ sitzt und lauert.“ Emma schaute mit ihren kleinen runden, tiefschwarzen Knopfaugen in die Runde, dann schnaufte sie tief ein, um leise und erschrocken zu nuscheln: „Wie hinterhältig ist das denn!“ „Richtig, dieser Mensch ist sehr, sehr hinterhältig! Du hast genau das richtige Wort für sein Verhalten gefunden. Danke!“

Alle Blicke der sonst so lockeren Tierrunde, immer bereit zum Spaß, zu Witzen, konzentrierten sich mitfühlend nur auf Schlappohr. So saßen sie sich betroffen, schweigsam, eine lange Zeit gegenüber, bis der kleine Bär sich zu Wort meldete und treffend formulierte: „Menschen, die uns boshaft, hinterrücks abschießen, ohne Rücksicht auf Verluste, haben keine Achtung vor dem Leben. Sie können oder wollen sich nicht vorstellen, dass wir Tiere genauso leiden, fühlen und lieben. Dass wir treu und intelligent sein können. Dass wir an unserem oft kurzen Leben hängen – genauso wie die Menschen auch. Wir sind doch alle Geschöpfe, Lebewesen, auf der gleichen Erde geboren, und möchten täglich Erfahrungen sammeln, um am Ende unserer Tage auf ein erfülltes Leben zurückblicken zu können.

So Freunde, das war das Wort zum Sonntag, und wir lassen Herrn Ernst jetzt wieder weiterziehen. Ich bin sehr glücklich, mit euch heute hier zu sitzen.“ Spontan sprang er auf und packte sich Klein-Emma und gab ihr einen kleinen Kuss auf ihre stachlige Nasenspitze, dann wiegte er sie sanft in seinen starken Armen. Etwas später drehte er sich mit ihr behutsam im Kreis. Dabei summte er leise sein Lieblingslied: Wie schön die Welt, der Wald, die sanften Hügel und sein geliebter Spiegelsee sowie sein Lebensbaum, die alte Eiche, sind. Er hielt kurz inne, um im Sprechgesang mitzuteilen: „Traurig sein und kurz darauf wieder Freude empfinden, das liegt ganz dicht beieinander! Lasst uns noch den schönen Tag genießen, lachen, gute Laune verbreiten, denn so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Morgen sind wir schon wieder einen Tag reifer an Weisheit. Kommt, lasst uns alle ein Tänzchen wagen.


Über die Autorin

Katja Lührs ist nicht nur eine bekannte Moderatorin und Künstlerin, sie schreibt und malt auch wunderschön. Zudem liebt sie Tiere, die Natur und die Umwelt!

Deshalb engagiert sich Katja schon seit mehr als 20 Jahren zusammen mit PETA für die Rechte der Tiere.

Sie ist ein Vorbild, denn sie lebt und liebt ihr tierfreundliches Leben an jedem Tag.

Mehr Informationen: www.katjalührs.com